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Bindung und ganz viel Bauchgefühl

Unsere Autorin Silke findet den Ansatz, Kinder bindungsorientiert zu erziehen, hervorragend. Sie meint aber auch: Jede Familie sollte für sich selbst herausfinden, wie das für sie am besten funktioniert.

Der 15. Dezember 1983 war ein Donnerstag. Die Sonne schien, Paul Young führte mit „Come back and Stay“ die Charts an – und in einem Krankenhaus in Preetz wurde ein kleines Mädchen geboren: ich! Meine Eltern (um genau zu sein: meine Mutter) hatten das Krankenhaus ganz bewusst ausgewählt. Es war nicht das nächstgelegene, aber das nächste, das das Prinzip des „Rooming-in“ anbot, also die Aufnahme des Babys (mir) im Zimmer meiner Mutter.

Klingt aus heutiger Sicht wie eine Selbstverständlichkeit. Doch im Schleswig-Holstein der frühen 80er Jahre war es das längst nicht. Geht man eine Generation weiter zurück, also ins Geburtsjahr meiner Mutter – das ich hier aus Gründen des Anstands verschweige – findet man kaum Mütter, die ihr Baby nach der Geburt direkt mit aufs Zimmer bekommen haben.

Jede Zeit hat ihre Erkenntnisse

Die Ruhe der Mutter und ein ausgiebiger Erholungsschlaf nach der Geburt standen damals im Fokus des ärztlichen Bewusstseins. (Wenn man ehrlich ist: auch ein wunderbarer Gedanke). Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die das Bedürfnis des Babys nach Nähe und Körperkontakt belegen, haben aber dafür gesorgt, dass diese Vorgehensweise nahezu flächendeckend abgelöst wurde.

Mein Dasein auf diesem Planeten startete also im besten Sinne nach der Theorie des „Attachment Parenting“, der bindungsorientierten oder auch bedürfnisorientierten Elternschaft. Nur dass kein Mensch das damals so nannte. Nora Imlau, eine Autorin und Journalistin, die ich sehr schätze und die zufällig im selben Jahr geboren wurde wie ich, schreibt auf ihrer Website: „Bedürfnisorientiert – als ich als junge Journalistin anfing, meinen Umgang mit meinem Kind in Texten und Artikeln so zu beschreiben, kannte den Begriff noch kaum jemand.“

Bindung, Bedürfnisse und ganz viel Bauchgefühl

Und dennoch: Wenn ich weiter in den Erinnerungen an meine Kindheit wühle, wird mir deutlich, dass meine Mutter genau das umgesetzt hat, was hinter dieser Erziehungslehre steht. Ich wurde gestillt, getragen, geherzt und geliebt, was das Zeug hält. Meine Mutter brauchte dafür keine „Sieben Baby-B’s“, wie die Praktiken in der Lehre des Attachment Parenting heißen, und keine Online-Foren, in denen sie sich mit anderen Müttern daran maß, wer sein Kind bedürfnisorientierter oder „besser“ erzog. Sie machte einfach, was ihr Bauchgefühl ihr sagte. Und das – ziemlich einleuchtend, wie ich finde – sorgte dafür, dass sie meine biologischen Bedürfnisse bestmöglich erfüllte.

Erziehung: eine Frage der Generation

Rückblickend betrachtet empfinde ich das Bauchgefühl meiner Mutter vor allem deshalb so bemerkenswert, weil ihre Eltern vieles noch ganz anders handhabten – sie es also selbst anders erfahren hatte. „Schreien befreit die Lungen“ wurde der Generation meiner Oma beigebracht. Und so war es ganz normal und unter Müttern auch keineswegs verwerflich, Babys und Kleinkinder im Laufstall „einzusperren“ und schreien zu lassen. Wer sich durch das Geschrei gestört oder emotional belastet fühlte, der schloss halt die Tür.

Nun war meine Oma keineswegs ein schlechter oder gefühlsloser Mensch – im Gegenteil! Als junge Mutter bekam man diese Praktiken damals aber einfach beigebracht und als „richtig“ empfohlen. Das „Schreienlassen“ gefiel sicher vielen Müttern nicht, aber sie taten es (auch wenn ihr Bauchgefühl ihnen etwas anderes sagte), weil sie das Beste für ihr Kind wollten. Darin sind sich die Mütter von heute und damals einig. Nur die Umstände haben sich in den letzten 30 und 60 Jahren eben geändert.

Mehr Optionen, mehr Rechtfertigungen

Im Rahmen meiner Arbeit als Journalistin für Familienthemen habe ich vor einiger Zeit die Familientherapeutin Claudia Hillmer interviewen dürfen. Sie erklärte mir sehr anschaulich, in was für einer herausfordernden Lage junge Eltern durch die zahlreichen wissenschaftlichen Erkenntnisse heutzutage eigentlich sind. Zum Beispiel, wenn es um die Milchmahlzeiten geht: Früher war man sich einig. Gestillt wurde alle 4 Stunden. Fertig. Das haben schließlich alle so gemacht. Heute gibt es zahlreiche Meinungen und Erkenntnisse zum Thema Ernährung im ersten Lebensjahr. „Eltern müssen sich da ganz anders positionieren“, formulierte es Claudia Hillmer. „Sie machen nicht einfach nur. Sie müssen auch oft erklären, warum sie etwas so machen, wie sie es machen.“

Heute bin ich dankbar, dass meine Mutter damals „einfach gemacht hat“, auch wenn noch nicht alle in ihrem Umfeld dieselben Praktiken kannten oder für richtig hießen. Doch für sie fühlte sich einfach richtig an, was sie tat. Das machte sie glücklich und zufrieden – was wir als Kinder wiederum spürten. Und ich bin der festen Überzeugung, dass die wunderbare Kindheit, die ich hatte, die Grundlage dafür geschaffen hat, dass ich heute sagen kann: Ich bin ein glücklicher Mensch, durch und durch. Dazu gehört natürlich mehr als Rooming-in und Säugling-Tragen. Es ist das grundsätzliche Gefühl von Sicherheit und Geliebt-werden, das sich in jungen Kinderjahren verfestigt.

Wie die Mama, so die Tochter

Heute bin ich selbst zweifache Mutter und gebe mein bestes, dieses Gefühl von Sicherheit und Liebe an meine beiden Kinder weiterzugeben. Viel Nähe, körperlich und seelisch, viel Zuspruch und viel Zeit sind die Basis, auf der die Erziehung meines Mannes und mir fußt. Und nichts davon, das ist meine Meinung, widerspricht sich mit der Tatsache, dass wir beide darauf achten, dass unsere eigenen Bedürfnisse nicht zu kurz kommen. Natürlich darf unsere Zweijährige bei uns im Bett schlafen, wenn sie das möchte. Und selbst unser fast Fünfjähriger krabbelt noch hin und wieder zu uns unter die Decke. Beide Kinder habe ich getragen, bis sie zu schwer wurden (oder nicht mehr wollten) – oft auch in den Schlaf. Und dass ich stillen werde, sofern es mir körperlich möglich ist, stand schon vor den Schwangerschaften für mich fest. Im Sinne der bindungsorientierten Erziehung erfüllen wir also Vieles, was das Attachment Parenting heute meint.

Jeder hat seine eigene Grenze

Vieles – aber eben nicht alles. Ja, ich habe gestillt, das stand für mich immer fest. Aber ich habe es nie sehr gemocht. Nach einem halben Jahr habe ich meinen Sohn abgestillt, meine Tochter bekam schon nach vier Monaten die ersten Fläschchen. Und ich verstecke mich damit nicht, auch nicht vor Kritikern, denn ich weiß, dass es zum jeweiligen Zeitpunkt das beste für meine Kinder war – weil es das Beste für mich war. Kaum konnte ich hinter das ungeliebte Thema Stillen einen Haken setzen, war ich viel offener und ausgeglichener für andere, wichtige Themen im Alltag mit Kind(ern). Das, da bin ich sicher, kam ihnen mehr zugute, als ein weiterer Monat Muttermilch. Ich würde meinen Kindern auch niemals ein Schlaf-Training zumuten. Und dennoch: Wenn meine Tochter nach 90 Minuten Einschlafbegleitung noch immer mit offenen Augen vor sich hin brabbelt und zum vierten Mal den Schlafanzug wechseln möchte, erfülle ich dieses „Bedürfnis“ sicher nicht – sondern verlasse den Raum, selbst wenn das bedeutet, dass sie dann zu weinen beginnt.

Glückliche Eltern, glückliche Kinder

Meine persönliche Meinung deckt sich auch da stark mit der Auslegung von Nora Imlau, die auf ihrer Seite schreibt: „Alle Bedürfnisse, insbesondere aber das nach beständiger Nähe und Geborgenheit, sind in den ersten Lebensjahren absolut unverhandelbar. Doch die Strategien, mit denen Eltern dieses Nähe-Bedürfnis (und alle anderen) erfüllen – die dürfen wir immer wieder neu unter die Lupe nehmen. Das ist es, was unsere Kinder wirklich von uns brauchen.“ Für mich ist dies die sinnvollste Auslegung der Attachment-Parenting-Lehre – und die, die sich ganz automatisch mit dem deckt, was ich aus meiner eigenen Kindheit mitgenommen habe. Denn als Mama tue ich dem Vorbild meiner eigenen Mutter entsprechend vor allem das, was mein Bauchgefühl für „richtig“ befindet. Dass sich vieles davon mit der bindungsorientierten Erziehungslehre deckt, finde ich beruhigend und bestätigend. Aber den Druck, wirklich alles genau so zu tun, wie es strikte Anhänger der Lehre vorschreiben, bürde ich mir nicht auf. Denn das man nicht immer alles genau wie „alle anderen“ machen muss, auch das habe ich von meiner Mutter gelernt.


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